Die Gerichte machten es sich mit der Verjärhung oft zu einfach
Für den Verjährungseintritt von Schadensersatzsanspüchen geschädigter Kunden im Abgasskandal nahmen viele Gerichte beim VW-Dieselmotor EA 189 den Ablauf des Jahres 2018 an. Kurz begründet wurde dies mit dem Umstand, dass VW auf einer Pressekonferenz im September 2015 die Manipulationen eingestanden hatte, der Kunde also Bescheid wusste und Klage erheben konnte.
Dies ist zu kurz gedacht!
Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil vom vom 14.12.2020 (Az.: VI ZR 739/20) noch eine Verjährung der Schadensersatzansprüche des dortigen Klägers (EA 189 Dieselmotor) drei Jahre nach dieser Pressekonferenz festgestellt. Dieses Urteil ist aber nicht ohne Weiteres auf alle Verbraucher übertragbar. Der dortige Kläger hatte seine Kenntnis der Manipulation (eine der Anknüpfungstatsachen für den Verjährungsbeginn) für den Herbst 2015 unstreitig gestellt.
Das ist untypisch. Erfährt der normale Kunde doch frühestens mit Anschreiben des Herstellers oder des Kraftfahrtbundesamt (KBA), dass in seinem Fahrzeug eine illegale Abschalteinrichtung verbaut ist. Überdies, und dies ist noch viel wichtiger, hat doch VW selbst nach dieser Pressekonferenz in jedem Gerichtsverfahren bis zuletzt hartnäckig bestritten, dass es sich um eine verbotene Abschalteinrichtung handelt, bzw. eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorlag. Vom Bestreiten der Kenntnis der jeweiligen Vorstandmitglieder (wann, wer, was genau) einmal ganz abgesehen. Und auch diese Tatsache ist für eine Begrüdung des Anspruches aus vorsätlziche sittenwidriger Schädigung erforderlich. Auch in der Presse und im Internet hatte VW sich nach dieser Pressekonferenz sehr konträr zum vermeintlichen Geständnis gestellt. Der Verbraucher durfte mit Recht verwirrt sein.
Es ist vor allem im Hinblick auf dieses konkrete Bestreiten des VW Konzerns in den Prozessen – auch darüber berichtete die Presse detailiert – vollkommen unverständlich, wie große Teile der Rechtsprechung einer vagen Pressekonferenz mehr Gewicht einräumten und dem Verbraucher – was soll er denn nun konkret bezogen auf sein Fahrzeug glauben – die konkrete Kenntnis von der Manipulation und der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen unterstellten.
Viele Gerichte nehmen daher mittlerweile die Kenntnis des Verbrauchers von der Mainpulation des eigenen Fahrzeugs frühestens für den Zeitpunkt an, an dem der Kunde das Rückrufschreiben des Kraftfahrtbundesamtes oder das Schreiben des Fahrzeugherstellers zum Software Update erhalten hat. Da diese Schreiben bei Fahrzeugen mit EA 189 Motoren erst in Jahr 2016/17 versandt wurden, sind die Schadensersatzansprüche auch erst mit Ablauf der Jahre 2019/20 verjährt. Kamen diese Schreiben später, tritt auch die Verjährung entsprechend später ein. Dies ist die zu bevorzugende Rechtsauffassung.
Zumutbarkeit der Klageerhebung
Neben der Kenntnis vom Mangel, also der Kenntnis, dass das eigene Fahrzeug manipuliert ist, setzt der Verjährungsbeginn noch die Zumutbarkeit der Klageerhebung voraus.
An dieses Tatbestandsmerkmal werden manchmal sehr geringe, falsche Voraussetzungen geknüft. Dies insbesondere dann, wenn ein Gericht die Kenntnis vom Mangel einfach mit der Zumutbarkeit der Klageerhebung gleichsetzt und sich weiteren Überlegungen verschließt. Dass Kenntnis und Zumutbarkeit nicht gleichgesetzt werden können, ergibt sich schon daraus, dass dies ZWEI verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen sind.
Eine zunehmende Anzahl von Gerichten nimmt sich dieses Gedankens an und sind nunmehr der Auffassung, dass eine Klageerhebung überhaupt erst seit dem Beschluss des BGH vom 08.01.2019 (Az. VIII ZR 225/17) bzw. gar dem ersten BGH-Urteil im Dieselskandal vom 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19) zumutbar gewesen sei. Daraus folgt, dass eine Verjährung auch erst mit Ablauf des 31.12.2022 oder gar zum 31.12.2023 eintritt.
Diese Meidung sei aufgrund des hartnäckigen Bestreitens von VW und der damit einhergehenden bundesweit stark abweichenden Urteile der Land- und Oberlandesgericht gerechtfertigt. Denn dadurch bestand lange Zeit vom Schädiger verursachte Rechtsunsicherheit.
Konservative Gegenauffassung
Hier darf redlicherweise nicht verschwiegen werden, dass einige Gerichte diese Meinung mit dem Argument ablehnen, dass Zumutbarkeit und bestehende Rechtsunsicherheit nichts miteinenader zu tun hätten, Es läge in der Natur der Sache, dass immer eine Rechtsunsicherheit vor Gericht gegeben sei. Ein Klage sei nicht erst dann zumutbar, wenn Rechtssicherheit bestehe. Diese Rechtsauffassung ist m.E. abzulehnen, da sich die Rechtsunsicherheit gerade im Verhalten von VW – dem vielfältigen Bestreiten auch nach der Pressekonferenz – ergab.
Anpruch aus § 852 BGB – 10-jährige Verjährungsfrist
Einige Landgerichte, z.B. Landgericht Kiel (Az. 17 O 124/20), Landgericht Magdeburg (Az.: 10 O 1856/19), Landgericht Trier (Az. 5 O 173/20) und Landgericht Bayreuth (Az. 41 O 416/20), sprechen dem geschädigten Kunden auch einen Anspruch aus § 852 BGB zu. Die Verjähungsfrist hierzu beträgt 10 Jahre (taggenau !).
[Hervorhebung vom Verfasser]
VW muss also auch nach Eintritt der Verjährung des Schadensersatzanspruches die erzielten finanziellen Vorteile an die Käufer erstatten. Die Verjährung tritt taggenau (nicht zum Schluss des Kalenderjahres) nach zehn Jahren ab Kaufdatum/Fahrzeugübergabe und Bezahlung ein.
Nach dieser Vorschrift kann der Kunde nur das zurück erhalten was die VW AG auch tatsächlich erlangt hat. Die Vorschrift des § 852 BGB hilft Käufern gebrauchter Fahrzeuge daher eher nicht. Denn beim Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs fließt der Kaufpreis dem jeweiligen Verkäufer, nicht VW zu. Rechtsprechung, welche das vorangegangen Kaufgeschäft (irgendwann muss das Fahrzeug einmal bei VW gekauft worden sein), den daraus erzeileten Vorteil dem letzten Gebrauchtwagenkäufer zurechnet, ist z.Zt. nicht ersichtlich.
§ 852 BGB ist also eher auf Käufer von Neuwagen anzuwenden. Da der Kauf VW in der Regel über Händler abgewickelt wurde, ist die Herausgabepflicht auf den Kaufpreis abzüglich der Händlermarge, Rabatte und abzüglich der Transportkosten beschränkt. Denn Händlermarge und Transportkosten sind VW ja nicht zugeflossen.
Schlussbemerkungen
Geschädigte Kunden können durchaus auch in 2021 noch erfolgreich klagen. Es gilt aber zuvor das Prozessrisiko im Einzelfall genau zu prüfen. Der pauschale Rat, es ist alles verjährt ist ebenso falsch wie der Rat, es sei auf jeden Fall noch nicht verjährt.
Dieser Artikel bezieht auf den Stand der Rechtsprechung Mai 2021. Die Sichtweise zum Verjährungsbeginn gilt nur für Dieselfahrzeuge mit einem Motor der Entwicklungsreihe EA189. Für die Schadensersatzansprüche bei anderen Motoren des VW Konzerns, insbesondere dem EA 288 oder der Reihen EA 896, EA 876 gelten andere Kriterien. Für Schadensersatzansprüche gegen andere Autohersteller wie Opel, Fiat oder Daimler sind ebenfalls gänzlich andere Verjährungsläufe zu beachten. Bei den jüngeren Entwicklungsreihen und den anderen Herstellern sind die Minipulationen erst deutlich später bekannt geworden, teilweise werden sie bis heute in Abrede gestellt oder sind aus heutiger Sicht (noch) nicht zu beweisen.
Heidelberg, Juni 2021
Jörg Ebenrecht
Rechtsanwalt