MPU auch unter 1,6 Promille möglich – Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 17.03.2021, Az.: 3 C 3.20 – § 13 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV)

Vorinstanzen: Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel, Urteil vom 22.10.2019, Az.: 2 A 641/19 – Verwaltungsgericht (VG) Kassel, Urteil vom 12.11.2018, Az.: 2 K 1637/18.KS

Der Ausgangspunkt:
Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) ist auch nach einmaliger Trunkenheitsfahrt unter hoher Blutalkoholkonzentration und fehlenden Ausfallerscheinungen des Fahrers gerechtfertigt – für „geübte Trinker“ kommt die MPU in manchen Fällen früher als im Gesetz vorgesehen.

Zur Klärung von Zweifeln an der Fahreignung eines Fahrzeugführers ist auch dann ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU) beizubringen, wenn bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt zwar noch eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von weniger als 1,6 Promille vorlag, beim Fahrer aber trotz einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,1 Promille keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt wurden. In diesem Fall ist es nicht rechtsfehlerhaft, wenn die Fahrerlaubnisbehörde (der Städte, der Landratsämter usw.) gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) annimmt, dass sonstige Tatsachen den Verdacht auch eines künftigen Alkoholmissbrauches im Straßenverkehr rechtfertigen. Diese Zweifel an der Fahreignung kann die Fahrerlaubnisbehörde mit der Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (MPU) klären und die Beibringung zur Bedingung für die Neuerteilung des Führerscheines machen.

Folgender Fall stand dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zur Entscheidung:

Ein wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 und 2 StGB vor dem Amtsgericht (Strafgericht) verurteilter Fahrer,  begehrte nach Ablauf der Sperrfrist die Neuerteilung seines Führerscheines. Bei einer Kontrolle im Straßenverkehr war der Kläger mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille aufgefallen und vor dem Strafgericht zu hoher Geldstrafe und einer langen Führerscheinsperre  verurteilt wurden. Im Rahmen des Verfahrens auf Neuerteilung forderte die Fahrerlaubnisbehörde der beklagten Stadt ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU) beizubringen (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV). Man habe erhebliche Zweifel an der Fahreignung. Diese ergeben sich aus der zusätzlichen Tatsache, dass trotz einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille keinerlei Ausfallerscheinungen bei der Polizeikontrolle feststellbar waren. Dies deute auf erheblichen Alkoholmissbrauch, auf eine erhebliche Alkoholgewöhnung hin. Daher, so die Fahrerlaubnisbehörde weiter, sei nicht sicher, ob der Kläger nicht auch künftig ein Kraftfahrzeug verbotenermaßen unter Alkoholeinfluss führen werde. Die Beklagte Stadt lehnte die Neuerteilung des Führerscheins daher gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ab und ordnete die Beibringung einer MPU an. Der Kläger hatte diese MPU dann nicht beigebracht. Die gegen diese Ablehnung/Untätigkeit gerichtete Verpflichtungsklage hatte das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof das Urteil geändert und die Beklagte verpflichtet, die beantragte Fahrerlaubnis ohne vorherige Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens zu erteilen.

Die Begründung  des Hessischen Verwaltungsgerichtshof und des Bundesverwaltungsgericht:

Eine einmalige Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille und das Fehlen von Ausfallerscheinungen genüge nicht, um als sonstige Tatsache im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu gelten und somit die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu rechtfertigen. Denn der Gesetzgeber habe bei Erlass der Verordnung gewusst, dass es Fahrer gibt, die so reagieren, eine solche Alkoholgewöhnung aufweisen und damit einen Ermessenspielraum ausgeschöpft, indem er erst ab einem  Grenzwert von 1,6 Promille in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV eine MPU anordnete.

Das Bundesverwaltungsgericht sah die Ablehnung der Neuerteilung als rechtmäßig an. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der Fahrer bei seiner Trunkenheitsfahrt trotz des festgestellten Promillewertes von 1,3 keinerlei alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zeigte. Dies stelle eine aussagekräftige Zusatztatsache im Sinne der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) dar. Denn die Behörde durfte zu Recht annehmen, dass der Kläger regelmäßig trinke und auch in der Zukunft damit die Gefahr bestehe, dass er ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führe. Dieser zusätzliche Umstand würde daher die Anordnung einer MPU rechtfertigen, obwohl der festgestellte Promillewert unter der 1,6 Promille-Grenze des § 13 liegt. Die Fahrerlaubnisbehörde hatte vom Kläger daher auf Grundlage von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu Recht die Beibringung eines solchen Gutachtens gefordert.

Gesetzestext:

  • 11 Absatz 8 FeV (Fahrerlaubnis-Verordnung)

Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Der Betroffene ist hierauf bei der Anordnung nach Absatz 6 hinzuweisen.

  • 13 FeV (Fahrerlaubnis-Verordnung)

Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass

  1. ein ärztliches Gutachten (§ 11 Absatz 2 Satz 3) beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit begründen, oder
  2. ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn

a) nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen,

b) wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden,

c) ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde,

d) die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war oder

e) sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht.

Im Falle des Satzes 1 Nummer 2 Buchstabe b sind Zuwiderhandlungen, die ausschließlich gegen § 24c des Straßenverkehrsgesetzes begangen worden sind, nicht zu berücksichtigen.

[Hervorhebung vom Verfasser]

Was bedeutet diese Entscheidung für Autofahrer und Ihren Führerschein im Falle einer Alkoholfahrt?

Die konkreten Auswirkungen dieses Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) auf die Entscheidungen der Fahrerlaubnisbehörden sind gravierend. Es wurde ein Streit, der vor Jahren bereits in Baden Württemberg schwelte – dort hatten sich die Fahrerlaubnisbehörden auf einen sehr ähnlichen Standpunkt gestellt und eine MPU in manchen Fällen unter 1,6 Promille angeordnet – in einem wichtigen Punkt zu Lasten der Autofahrer entscheiden und der Weg freigemacht, auch deutlich unter 1,6 Promille regelmäßig eine MPU anordnen zu dürfen. Einen die Ablehnung der Neuerteilung der Fahrerlaubnis sollten Sie in jedem Fall von einem im Verkehrsrecht erfahrenen Rechtsanwalt überprüfen lassen. Viel wichtiger wird es jedoch zukünftig sein, dass Sie schon sehr früh, nachdem Sie von der Polizei angehalten wurden, den Rat eines erfahrenen Verkehrsrechtsanwalts suchen, um keine falschen Aussagen zu treffen, keine falschen Weichen im Vorfeld zu stellen.

Heidelberg, 25.05.2021

Jörg Ebenrecht

Rechtsanwalt

Rechtsanwaltskanzlei Heidelberg