Mit Urteil vom 26.03.2020 (Az. C-66/19) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) erneut zur Rechtmäßigkeit von Widerrufsbelehrungen in Darlehensverträgen entschieden. Der EuGH urteilte, dass die einem Verbraucher zwingend zu erteilende Widerrufsbelehrungen mit folgendem Wortlaut:

„Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB … erhalten hat.“

als Widerrufsinformation gegen das Europarecht verstößt. Juristen nennen einen solchen Verweis auf Vorschriften außerhalb der Darlehensvertragsurkunde einen Kaskadenverweis. Das bedeutet, der Verbraucher muss zur Feststellung, über was alles hätte belehrt werden müssen, welche Pflichtangaben der Darlehensvertrag hätte enthalten müssen, erst im Gesetzbuch nachschlagen und sich dies selbst erarbeiten. Diese Form der Widerrufsbelehrung findet sich in sehr vielen Darlehensverträgen (Immobiliendarlehen, Autokredite, Leasingverträge, Konsumentenkredite, Verbraucherdarlehen), die zwischen dem 10.06.2010 und dem 31.03.2016 abgeschlossen wurden.

Rechtsfolge: Diese Widerrufsinformationen ist europarechtswidrig. Die Widerrufsfrist hat noch nicht zu laufen begonnen, die Darlehen sind grds. heute noch widerruflich.

Das Landgericht Saarbrücken hatte dem EuGH in einem Vorlagebeschluss die Frage vorgelegt, ob der Verweis auf die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB, gegen Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48 (Verbraucherkreditrichtlinie) verstoße.

Das Problem des sog. Kaskadenverweises: § 492 Abs. 2 BGB verweist auf Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB (Einführungsgesetz zum BGB), worin wiederum auf weitere Paragraphen des BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) verwiesen wird. Dies hat zur Folge, dass der Verbraucher sich die Pflichtangaben selbst aus einer Vielzahl von gesetzlichen Vorschriften durch Hin- und Herblättern im BGB und im EGBGB mühsam heraussuchen muss. Selbst ein im Bankrecht erfahrener Rechtsanwalt braucht für die sorgfältige und vollständige Prüfung ca. 20 min. Der europäische Gerichtshof (EuGH) bejahte daher für Verbraucheranwälte folgerichtig, einen Verstoß gegen EU-Recht zu Lasten des Verbrauchers. Er war der Auffassung, dass der Verbraucher durch einen solchen Verweis auf verschiedene nationale Vorschriften gerade nicht bestimmen kann, ob und wann die Widerrufsfrist zu laufen beginnt.

Das hatte der Bundesgerichtshof (BGH) noch mit Urteil vom 22.11.2016 (Az. XI ZR 434/15) anders entscheiden und den Kaskadenverweises als nicht benachteiligend für den Verbraucher und damit nicht als Verstoß gegen das EU-Recht gesehen – er legte dies dem EuGH nicht einmal vor. Hier fühlt man sich an die sog. Heininger Entscheidungen (EuGH, 13.12.2001 – C-481/99) erinnert. Schon hier musste der EuGH eine falsche und allzu bankenfreundliche Rechtsprechung des BGH zu Lasten der Verbraucher korrigieren.

EuGH bejahte mit Urteil vom 26.03.2020 (Az. C-66/19) überraschend seine Zuständigkeit auch für grundpfandrechtlich gesicherte Immobiliendarlehen. Dies obgleich die europäische Verbraucherkreditrichtlinie dem Grundsatz nach nicht für grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen gilt.

Das Argument des EuGH: Der deutsche Gesetzgeber habe entschieden, die von der Verbraucherkreditrichtlinie getroffenen Regelungen auch auf grundpfandrechtlich gesicherte Darlehen anzuwenden. Daher sei er auch für den nunmehr vorgelegten Fall eines Verbrauchers, der bei der Sparkasse Saarlouis ein Darlehen über € 100.000,00, zu Finanzierung eines Hausen, zuständig.

Die Banken und Verbraucher haben über diese Frage bisher in zahlreichen Verfahren gestritten. Die Verbraucher argumentierten, dass § 492 Abs. 2 BGB nur eine Verweisungskette ohne sachlichen Inhalt ist. Denn die Vorschrift selbst bezeichnet keine, für den Verbraucher nachlesbare Pflichtangabe. § 492 BGB verweist nur auf eine Reihe weiterer Paragraphen, in denen dann die Pflichtangaben entnommen werden können. Dies widerspreche der Verpflichtung der Banken, dem Kunden insbesondere den Beginn der Widerrufsfrist in klarer und prägnanter Form zu erklären.

Der BGH hatte mit Urteil vom 22.11.2016, XI ZR 434/15 und nochmals in seinem Beschluss vom 19.03.2019, XI ZR 44/18, den Streit scheinbar beendet. Er war der Auffassung, dass diese Kaskadenverweisung, weil, so das tragende Argument der jüngsten Entscheidung, vom Gesetzgeber vorgegeben, nicht zu beanstanden ist. Die Gerichte haben daher nicht das Recht, die Klausel für unzulässig zu erklären; man würde damit dem Gesetzgeber widersprechen. An dieser Argumentation hält der BGH hat in seiner Entscheidung vom 31.03.2020, XI ZR 198/19 fest. Die Entscheidung des EuGH wird schlicht negiert.

Und dies soll, so der BGH, für alle Kredite, nicht nur für solche mit grundpfandrechtlicher Absicherung gelten. Denn Ausgangspunkt der Entscheidung des BGH aus dem März 2020 war die Finanzierung des BMW 520d durch einen Verbraucher.

Fazit: Den einfachen Weg, zu einem berechtigten Widerruf zu kommen gibt es daher nicht. Den Verbrauchern steht wie bisher auch nur dann das Recht zum Widerruf zu, wenn eine der Pflichtangaben im Kredit nicht erteilt wird. Dies bedeutet stets eine sorgfältige Einzelfallprüfung.

Heidelberg, März 2020

Jörg Ebenrecht

Rechtsanwalt

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